Leopold Figl gehört zu den ganz wenigen Menschen aus der Geschichte Österreichs, die allgemein gekannt und geschätzt werden. Sein markantes Gesicht, sein Temperament, seine Leutseligkeit und auch seine sagenumwobene Trinkfestigkeit haben ihn unvergesslich gemacht. Doch vor allem sein tiefes Gottvertrauen und sein unerschütterlicher Glaube an Österreich haben dazu beigetragen, dass unser Land bereits 1955 seine Freiheit wiedererlangt hat.
Noch vor Studienabschluss beim NÖ Bauernbund
Als Leopold Figl am 2. Oktober 1902 in Rust im Tullnerfeld als drittes von insgesamt neun Kindern seiner Eltern Josefa und Josef geboren wurde, war der Zerfall der Habsburgmonarchie bereits im Gange. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1914 musste der junge Leopold Figl früh Verantwortung für sich und seine Geschwister übernehmen. Dennoch ermöglichte die Mutter, die als tiefgläubig, liebenswürdig aber auch energisch beschrieben wird, dem „Poldl“ den Besuch des Gymnasiums in St. Pölten und das Studium an der Universität für Bodenkultur.
Bereits in seiner Zeit als Gymnasiast zeigte sich Figl politisch interessiert. Daher ist es nicht verwunderlich, dass er schon bald die Bekanntschaft des um elf Jahre älteren Julius Raab schloss, der seine weitere politische Gesinnung stark beeinflussen sollte.
Der Grundstein für Leopold Figls politische Laufbahn wurde allerdings 1926 gelegt. Anlässlich der Feier zum 20-jährigen Bestehens des NÖ Bauernbunds hielt er als Vertreter der Studentenschaft eine Rede, in der er sowohl sein Redetalent als auch seine politische Begabung unter Beweis stellte. Er weckte damit das Interesse des Bauernführers und späteren Landeshauptmanns Josef Reither und Bauernbunddirektors Josef Sturm. Letzterer holte Figl, noch vor Abschluss seines Studiums, als provisorischer Sekretär in den NÖ Bauernbund. Figl kam damit sowohl ins Zentrum der Agrarpolitik als auch der christlich-sozialen Bewegung. Sehr rasch wurde aus Figl, dem Sekretär, Figl, der Politiker.
Daneben setzt Leopold Figl sein Studium fort, das er 1930 erfolgreich abschließen konnte. Nun war auch der Zeitpunkt gekommen, wo er seine Hilde heiraten konnte. 1933, im Alter von 31 Jahren, wurde er Direktor des NÖ Bauernbunds, also Generalsekretär der größten Organisation des christlich-sozialen Lagers.
Die folgenden Jahre waren von großen wirtschaftlichen Problemen und sich rasch verstärkender Armut großer Teile der Bevölkerung in Österreich geprägt. Alle Anstrengungen der Politik konnten den Aufstieg des Nationalsozialismus und Hitlers in Deutschland, den Figl mit großer Sorge beobachtete, nicht aufhalten. 1938 sollte die Karriere des Bauernbündlers eine jähe Unterbrechung erfahren.
Figl beobachtete mit Sorge den Aufstieg der Nazis und Hitlers
„Die Ereignisse haben sich so überstürzt. Und zum Schluss musste geschwind ein Mikrophon her, und Schuschnigg hat die Abschiedsrede gehalten. Wir waren einsam und verlassen. Ich werde das nie vergessen“, beschrieb Figl, wie er das Ende der Ersten Republik und die Machtübernahme Hitlers erlebt hat. Doch es sollte noch viel schlimmer kommen.
Leopold Figl war im ersten Transport aller führenden österreichischen Politiker, die ins Konzentrationslager Dachau deportiert wurden. 62 Monate sollte das erste Martyrium des „Häftlings Nummer 13.897“andauern, seine „Adresse“ war der Block 13, der „Österreicherblock“. Als erster Österreicher wurde Leopold Figl auf den „Bock“ gebunden und mit dem Ochsenziemer blutig und ohnmächtig geschlagen, und das „nur“, weil er „Österreich“ anstatt „Ostmark“ sagte. Es folgten sechs Wochen in isolierter Dunkelhaft, bei Wasser und Brot – nur zwei Mal in der Woche. Er erlitt durch die Prügelstrafe schwere Haut-, Gewebe- und auch Organschäden, die als Ursache für seinen frühen Tod im Jahr 1965 gelten.
Auch im KZ ein unbeugsamer und überzeugter Österreicher
Trotz aller Gräuel gab Leopold Figl niemals auf: Alle seine KZ-Kollegen bestätigten seinen Humor, seinen unversiegbaren Optimismus, seinen Mut und seine grenzenlose Hilfsbereitschaft. Und auch sein unerschütterlicher Gottesglaube half ihm durch diese Zeit. Gemeinsam mit Josef Reither legte er ein Gelübde ab, jedes Jahr mit Niederösterreichs Bäuerinnen und Bauern nach Mariazell zu pilgern, sollte sein geliebtes Heimatland die Freiheit wieder erhalten. Er überlebte die Typhusepidemie und durfte 1943 das Konzentrationslager verlassen – nur mehr ein Schatten des Mannes, der 1938 hierher verfrachtet worden war. Endlich daheim schrieb er ins Gästebuch: „Zu Haus ist‘s am schönsten. Figl. 8. Mai 1943.“ Über seinen Freund und Förderer Julius Raab erhielt Leopold Figl Arbeit bei einer Baufirma. Als Leiter auf verschiedenen Baustellen im Weinviertel gelang es ihm, an der Gestapo vorbei, Kontakt zu seinen früheren Mitstreitern aufzunehmen. Überzeugt davon, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Naziherrschaft zu Ende geht, beginnen die ehemaligen Politiker mit den Vorbereitungen für den „Tag X“, für den Tag, wenn Österreich wieder frei ist. Bereits am Florianitag (4. Mai) 1944 wurde festgelegt, wie der NÖ Bauernbund seine Arbeit wieder aufnehmen könnte.
Bis es jedoch soweit war, standen den überzeugten Österreichern noch schwere Zeiten bevor. Das Kriegsgeschehen in Wien und Niederösterreich wurde immer heftiger, je näher die sowjetischen Truppen herankamen. Dazu kam es nach dem gescheiterten Attentat gegen Adolf Hitler zu einer neuerlichen Verhaftungswelle. Im Oktober 1944 wurde Leopold Figl wieder verhaftet und ins KZ Mauthausen gebracht. Doch auch die unmenschliche Folter der Verlierenden entlockt dem Bauernbündler kein Geständnis. Dennoch wird er wegen Hochverrat angeklagt und zum Tode verurteilt. Zurück in Wien muss er in der Todeszelle auf die Vollstreckung des Urteils warten. In der buchstäblich letzten Minute wurde dies aber doch durch den Einmarsch der Russen am 6. April 1945 verhindert.
Auf dem steinigen Weg zum befreienden Staatsvertrag
Am 7. April wird Leopold Figl aus dem Gefängnis entlassen und bereits am 12. April wird er von Marschall Tolbuchin, dem Oberbefehlshaber der sowjetischen Truppen in Österreich, damit beauftragt, Nahrungsmittel für die hungernde Bevölkerung in Wien heranzuschaffen, Saatgut für den Frühjahrsanbau zu sichern sowie die Straßen von den Kadavern säubern zu lassen. Ein fast aussichtloses Unterfangen, dass der mutige Politiker dennoch mit Nachdruck in Angriff nahm. Bis am 8. Mai der Krieg endgültig zu Ende ist, wurde im Hintergrund bereits die ÖVP gegründet und eine provisorische Übergangsregierung gebildet, der Figl als Staatssekretär angehörte.
Bei den ersten freien Wahlen in der neugegründeten Zweiten Republik am 25. November 1945 erreichte die ÖVP die absolute Mehrheit. Leopold Figl wird mit der Regierungsbildung beauftragt und nimmt gemeinsam mit der von ihm gebildeten Dreiparteienregierung (ÖVP, SPÖ, KPÖ) seine Arbeit als Bundeskanzler des bitterarmen Österreichs auf. Seine legendäre Weihnachtsansprache endet mit dem dringenden Appell: „Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich.“ Sie zeigt, es gab in dieser Zeit keine großen ideologischen Programme. Figls Programm hieß viel mehr: Österreich. Freiheit und Gerechtigkeit für Österreich. Zuerst die unmittelbare bittere Not überwinden, und dann die volle Freiheit erringen.
Die Not dieser Zeit war groß und Leopold Figl im unermüdlichen Einsatz, das Gröbste zu lindern. Als wahrer „Meister des Schnorrens“ wird er nicht müde, auch von den Besatzern immer wieder Lebensmittellieferungen zu erbetteln.
Bis 1953 als Bundeskanzler und danach als Außenminister war es neben der Sorge um die Ernährung des österreichischen Volkes das große Ziel Figls, die Freiheit des Landes von den vier Besatzungsmächten (Sowjetunion, England, Frankreich und Amerika) zu erreichen. Mit Zähigkeit, Mut und nicht zuletzt viel von seiner sprichwörtlichen „Bauernschläue“ gelang ihm der Durchbruch bei den Verhandlungen. Am 15. Mai 1955 durfte er als Außenminister den Staatsvertrag unterschreiben, den er mit Stolz präsentierte. „Österreich ist frei!“, rief er der Menschenmenge vom Balkon des Schloss Belvedere zu.
1959 wurde Leopold Figl zum Nationalratspräsidenten gewählt und kehrte 1962 als Landeshauptmann in „sein“ Niederösterreich zurück. Zur selben Zeit machte sich seine unheilbare Krankheit – Nierenkrebs – bemerkbar. Seine Nominierung zum Bundespräsidentschaftskandidaten der ÖVP im März 1965 lehnte er – von seiner Krankheit bereits schwer gezeichnet – ab. Zweieinhalb Monate später starb er am 9. Mai, zwanzig Jahre und einen Tag nach dem Kriegsende. Er wurde mit einem Staatsbegräbnis gewürdigt und in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.